
About
Dezember 1, 2017
Höllencamp Teil II
September 1, 2018Alles fing mit einer Facebooknachricht von einer unbekannten Frau am 20.03.2018 um 17:40 Uhr an. Katrin von Tri, eine Redakteurin, die damals für eine Kölner Fernsehproduktionsfirma tätig war und eine Frau, die mich mit ein paar Nachrichten überzeugte, an einem Experiment teilzunehmen, was mich bis zum heutigen Tag in meiner persönlichen Entwicklung derartig weitergebracht und durch ein komplettes Umdenken mein Leben um 180° gedreht hat.
Ich befand mich zu dem Zeitpunkt in einer denkbar unglücklichen Lebenslage. Frisch getrennt, aber noch zusammenlebend, 9 Tage vor dem Abgabetermin der Masterarbeit, 10 Tage vor Abgabe der Wohnungsschlüssel, den Kopf irgendwo zwischen Masterarbeit, Wohnungssuche, der normalen Arbeit und meinen Nebenjobs.
Selbstvertrauen = 0%, Selbstzweifel = 100% und dann die Nachricht von Katrin.
Normalerweise landen Nachriten von unbekannten Personen ja bei Facebook in irgendwelchen Ordnern wo man sie dann nach Jahren mal findet, wenn schon alles gelaufen ist. Da ich aber gerade auf Wohnungssuche war und dies natürlich auch über Facebook, erreichte mich die Nachricht direkt.
Katrin fragte eigentlich auch nur ob ich Lust hätte, an einem TV-Experiment teilzunehmen, bei dem man sowohl physisch als auch psychisch einigermaßen fit sein sollte. Auf die Frage, wie sie auf mich gekommen sei, meinte sie nur, ich hätte ein recht sportliches Profil. Nun gut, ich war skeptisch, aber interessiert und fragte nach mehr Informationen. So wirklich mehr durfte sie mir allerdings nicht sagen, es sollten Challenges sein, die innerhalb von 72 Stunden irgendwo im Westerwald absolviert werden mussten und es hieß Höllencamp. Die Reisekosten sollten übernommen werden und es gibt einen ärztlichen Check bevor man startet. Grob zusammengefasst waren das die Infos, die ich bekam.
Höllencamp klang interessant und ich fing mal ein bisschen an zu googlen, kam aber eigentlich recht schnell zu dem Entschluss, dass ich vermutlich einfach viel zu schlecht für solche Aktionen bin und mich nicht blamieren will. Wir schrieben noch etwas hin und her, aber ich war wirklich unsicher.
Je mehr wir schrieben, desto mehr wollte ich es allerdings auch ausprobieren, wenn da nur keine Kameras wären… Ich war skeptisch, total unsicher und wusste dennoch, dass ich aus meinem „alten Leben“ gezwungenermaßen raus und in die Offensive gehen musste. Ich konnte nicht noch länger zurückgezogen leben, nicht wenn ich jetzt alleine in einer Stadt war, in der ich schon 5 Jahre lebte, aber niemanden kannte. Ich hatte Angst vor allem, noch mehr zu versagen, einsam zu sein, andere zu enttäuschen. Zusammengefasst: Ich wusste nicht wie, wo und ob es weitergehen sollte.
Katrin braucht immer mehr Infos von mir, es ging um Formulare, die ausgefüllt werden mussten, Videoclips von mir, auf denen ich mich vorstellen sollte oder auch von meinem Training. Ich war im Dauerstress, weil einfach so viel parallel lief und konnte immer erst auf den letzten Drücker liefern. Irgendwann war ich auch genervt, aber ich bekam auf die einfachen kleinen Videos, die ich von meinem Training irgendwann mal zusammengeschnitten und jetzt an Katrin geschickt hatte, so ein nettes Feedback und so viel Anerkennung, die ich sonst nicht bekam, dass es mich natürlich triggerte und ich doch am Ball blieb.
Irgendwann war die Entscheidung gefallen.
Die Drehtermine für die 72 Stunden waren im Mai, Juni und Juli angesetzt. In den Wochen vom ersten Kontakt bzw. auch der Entscheidung für mich, teilzunehmen bis zur Anreise, passierte extrem viel.
Die Masterarbeit wurde glücklicherweise noch recht pünktlich fertig und wenn ich jetzt schreibe, dass ich sie tatsächlich in der Druckerei vergessen habe, wird vermutlich deutlich, dass mein Kopf doch dezent überlastet war… Wer schreibt schon wochenlang an einer Abschlussarbeit, schickt sie dann zum Drucken und Binden und vergisst einfach das Ding abzuholen?! Naja, wie dem auch sei, es hat alles noch gepasst, der MBA war in der Tasche und eine Übergangslösung in einer WG hatte ich auch gefunden. Für ein Jahr hatte ich somit schon mal ein Dach über dem Kopf, der Umzug lief glatt, die Steuererklärung wurde auch noch schnell abgehakt und somit hatte ich das, zumindest bis jetzt, schlimmste Quartal meines Lebens abgeschlossen.
Plötzlich hatte ich unglaublich viel Zeit, also eigentlich hatte ich nur noch meinen normalen Vollzeitjob, ein paar PTs und einen Trainerjob im Verein. Keine Uni mehr an den Wochenenden, keine Hausarbeiten die unter der Woche geschrieben werden mussten und auch keine Physiopatienten mehr.
Eigentlich ist genau das eingetreten, vor dem ich mich immer gefürchtet hab.
Zeit!
Die freie Zeit füllte sich zu meiner Erleichterung allerdings recht schnell mit diversen neuen Sportarten, die ich nie auf dem Schirm hatte. Wie es genau dazu kam und wo ich überall gelandet bin, dazu in späteren Berichten mehr.
Hier möchte ich doch wieder zum Höllencamp zurückkommen, muss allerdings doch noch ein bisschen ausholen, da sich die Situation schon vor dem Experiment, durch den Sport änderte.
Bisher war ich fast täglich in der Turnhalle und hing mehr schlecht als recht an irgendwelchen Geräten. Zusätzlich fuhr ich viel mit Inlineskates und ging wöchentlich Joggen. Die 10km schaffte ich recht gut unter 60min und wenn ich das jetzt schreibe, kann ich eigentlich selbst nicht ganz begreifen, was da in den letzten Jahren passiert ist.
Plötzlich hatte ich eigentlich zwei Trainingseinheiten am Tag und es standen auch ganz andere Sachen auf dem Plan als davor. Irgendwie war ich in so ein Zirkeltraining geraten, ging in einer Gruppe laufen und machte meine Burpees mit Gewichtsweste. Total verrückt und noch vor 2 Wochen einfach undenkbar.
Egal, das Angebot war einfach da und ich landete in einer anderen Welt. Ich hatte unglaublich viel Spaß am Sport, lernte schnell viele neue Leute kennen, die irgendwie alle ein bisschen verrückt waren und ich fühlte mich direkt wohl. Auch meine Leistungen im Training waren eigentlich von Beginn an sehr gut, was mich verwunderte, mir aber unglaublich viel Selbstvertrauen gab. Es war schön sich selbst anders kennenzulernen, Anerkennung für Leistungen zu bekommen, von Trainern gelobt aber auch gefordert zu werden. Irgendwie hatte ich in den letzten fünf Jahren ganz vergessen, wie sich das anfühlte.
Mein Selbstbewusstsein wuchs ebenso wie die Lebensfreude. Beides wichtige Komponenten, die trotz der Skepsis auch die Vorfreude auf das Höllencamp, welches nun immer näher rückte, steigen ließen.
Das Höllencamp war folgendermaßen geplant. Es sollte vier Gruppen mit jeweils zehn Kandidaten (Männer und Frauen) geben, die verschiedene Challenges innerhalb von 72 Stunden absolvieren durften. Die vier Gewinner*innen sollten in einem weiteren 24-stündigen Camp gegeneinander antreten, damit der endgültige Sieger gekürt werden konnte.
Das Camp fand auf einem ehemaligen Bundeswehrgelände im Westerwald statt, wobei ich diese Information noch nicht hatte, ich wusste nur, dass ich mit dem Zug nach Montabaur fahren sollte. Zunächst war ich für eine spätere Folge geplant, wurde dann aber doch für die erste Aufzeichnung angefragt und musste recht spontan meine Sachen packen und mich auf den Weg machen.
Wir sollten hohes und festes Schuhwerk mitnehmen, vorher ausreichend Essen und Schlafen und einen Zettel ausfüllen, auf dem wir bestätigten, dass wir wissen, worauf wir uns einlassen und das freiwillig machen. Ich wusste nicht, worauf ich mich einließ.
Festes Schuhwerk hatte ich nicht, ich nahm einfach meine alten Laufschuhe mit, den Zettel hatte ich aber parat und genügend gegessen hatte ich auch. Wechselklamotten, Zahnbürste, Duschzeug, Desinfektionsmittel, Moskitospray usw. hatte ich ordentlich in verschiedene Tüten verpackt, meinen Eltern schrieb ich noch schnell, dass ich für maximal 72 Stunden, eher weniger, irgendwo im Wald sein werde und mich erst danach melden kann, nur für den Fall, dass sie eine Nachricht schreiben sollten und ich nicht antworte. Damit war für mich eigentlich zunächst alles geklärt.
Die Zeit im Zug verging anfangs einfach überhaupt nicht und je länger ich zum Nachdenken hatte, desto schneller wechselten sich Zweifel und Vorfreude ab. Verschiedene Szenarien spielten sich in meinem Kopf ab und ich überlegte was mich wohl für Leute und auch Aufgaben erwarten würden. Nichts von dem was mir so in den Sinn gekommen war, trat ein. Dies nur am Rande…
Irgendwann war ich recht gedankenverloren und erst eine Durchsage im Zug rüttelte mich wieder wach und ich stellte fest, dass der Zielbahnhof nun doch nicht mehr weit entfernt war. Ich schrieb noch eine Nachricht an meine Eltern, stellt dabei fest, dass ich den rot-lila schimmernden Nagellack vielleicht vor dem Waldexperiment noch entfernen sollte, versuchte panisch meine Finger sauber zu bekommen und verpasste um ein Haar den Ausstieg. Das wäre eine nicht unbedingt untypische Aktion gewesen.
Egal, es hat alles geklappt. Der Nagellack war weg, ich war am richtigen Bahnhof ausgestiegen und machte mich auf den Weg zur Unterkunft. Es war Donnerstagnachmittag und das Camp sollte am Freitagmorgen starten. Alle Teilnehmer der ersten 72 Stunden reisten am Donnerstag an, damit am Freitag pünktlich gestartet werden und wir uns vorab schon kurz kennenlernen konnten. Wir gingen am Abend gemeinsam essen, erzählten und verbrachten insgesamt einfach ein paar schöne Stunden miteinander. Die Gruppe war sehr unterschiedlich, abgesehen von mir war noch eine weitere Frau dabei und sonst acht Männer, die unterschiedliche Hintergründe, aber doch fast alle Bundeswehrerfahrung hatten. Im Prinzip ging es vermutlich jedem darum, nicht als Erste/r aus dem Camp auszuscheiden und sich nicht zu sehr vor der Kamera zu blamieren, daher gingen viele prüfende Blicke durch die Runde und man selbst machte sich natürlich auch Gedanken, wo man sich in der Gruppe einordnen würde, wer ist besser, wer möglicherweise schlechter, egal bei welchen Übungen. Ich denke wir beiden Frauen hatten zwar insgesamt den Nachteil, dass wir am wenigsten Erfahrung hatten, zeitgleich aber auch den Vorteil, dass uns niemand so wirklich als Konkurrenz auf dem Schirm hatte. Ein bisschen unter dem Radar laufen gefällt mir ja doch deutlich besser, als wenn die Erwartungen von anderen zu hoch sind.
Je länger ich allerdings mit den anderen Mitstreitern*innen zusammen war, desto mehr wuchs auch die Vorfreude und die Zweifel wurden weniger. Das lag allerdings wirklich viel an der für mich dankbaren Position, dass ich nicht wirklich als Konkurrenz wahrgenommen wurde.
Der nächste Morgen kam recht schnell, wir frühstückten noch in der Unterkunft und wurden dann zum Treffpunkt gefahren. Gut gelaunt, mit unseren persönlichen Rucksäcken und Sportklamotten ging es auf der Ladefläche von einem LKW weiter und unsere Anfahrt endete irgendwo im Wald.
Der LKW blieb stehen, die Laune war gut, wir machten noch unsere Späße und hatten alle keine Ahnung was passieren würde. Es fühlte sich für mich noch ein bisschen an wie ein Klassenausflug, wir saßen ordentlich nebeneinander, die Jungs machten Blödsinn, die Mädels waren skeptisch, alle hatten brav ihre Rucksäcke auf dem Schoß und niemand hatte einen Plan.
Dieser noch sehr entspannte Augenblick endete abrupt, als (ich glaube, es war Michael Rüppel) in einem Tonfall, der mir bisher nicht so bekannt war, den Befehlt „Absitzen“ erteilte.
Stille.
Erschrocken und irgendwie beeindruckt kraxelten die ersten Teilnehmer*innen vom LKW und stellten sich davor auf. Nun wagte niemand mehr auch nur ein Wort zu sagen, für mich war die Situation allerdings so neu uns so komisch, dass ich mich sehr zusammenreißen musste, um mein inneres Lachen auf ein äußeres Grinsen zu minimieren. Das sollte in keinem Fall respektlos wirken, denn den hatte ich wirklich, der Filmwechsel von „Klassenfahrt im Wald, alle sind gut gelaunt“ zu „Absitzen und Aufstellen“ war irgendwie etwas zu schnell für mich.
Die drei Ausbilder wurden uns vorgestellt, Alexander Keul, Michael Rüppel und Marcel Markwirth sollten uns laut Patrick Esume nun in den nächsten 72 Stunden das Leben zur Hölle machen und naja wie soll ich sagen, deren Auftritt war schon beeindruckend.
Ansprechen durften wir sie mit „Ausbilder“ aber auch nur wenn es einen triftigen Grund gab. Die Ansagen sind klar und deutlich und werden nicht wiederholt.